Joel 1



Die unter der Überschrift »Wort des Herrn an Joël, den Sohn Petuëls« überlieferte Schrift enthält Teile, die sich stark voneinander unterscheiden. Die beiden ersten Kapitel spiegeln eine Bußfeier wider, die durch eine gewaltige Heuschreckenplage und eine Dürre veranlasst ist, während die Kapitel 3 und 4 vom zukünftigen Heil Israels handeln. Die Klammer zwischen beiden Teilen bildet das Thema vom »Tag des Herrn« (vgl. 1,15 und 2,1-11), auf den die jetzigen Katastrophen hinweisen. Ihre verheißene Abwendung (2,18-27: neuer Segen) ist ein Vorausbild der künftigen Heilszeit, in der, nach dem Gericht über die heidnischen Weltmächte, Juda und Jerusalem einen dauerhaften Frieden erfahren.

Die Frage, ob der jetzige Text von einem einzigen Autor stammt, wird heute von der Forschung zumeist bejaht. Über die Zeit der Abfassung ist man verschiedener Meinung. Gute Gründe sprechen für eine Datierung ins 5. oder 4. Jahrhundert v. Chr. Von der Person des Propheten ist nichts Näheres bekannt. Er zeigt sich sehr vertraut mit dem Kult am Tempel, ohne dass er deswegen als sog. Kultprophet gelten müsste. Öfter zitiert er prophetische Vorgänger, obwohl er sich in der ihm eigenen dichterischen Kraft als Mann von Originalität erweist. Besonders wichtig ist seine Verkündigung der Ausgießung des Gottesgeistes über alle Glieder des endzeitlichen Gottesvolkes (Kap. 3), die in der Predigt des Petrus am ersten christlichen Pfingstfest als erfüllt verkündigt wird (Apg 2,17-21).

Überschrift: 1,1

1 Das Wort des Herrn, das an Joël, den Sohn Petuëls, erging.

Die Bußfeier wegen der Heuschrecken-Plage: 1,2 - 2,27

Die Heuschreckenplage als Anlass zur Buße: 1,2-20

2 Hört her, ihr Ältesten, /
 
horcht alle auf, ihr Bewohner des Landes! Ist so etwas jemals geschehen /
 
in euren Tagen oder in den Tagen eurer Väter?

3 Erzählt euren Kindern davon /
 
und eure Kinder sollen es ihren Kindern erzählen /
 
und deren Kinder dem folgenden Geschlecht.

4 Was der Grashüpfer übrig ließ, /
 
hat die Wanderheuschrecke gefressen; was die Wanderheuschrecke übrig ließ, /
 
hat die Larve gefressen; was die Larve übrig ließ, /
 
hat der Nager gefressen. 1

5 Wacht auf, ihr Betrunkenen, und weint! /
 
Jammert alle, ihr Zecher! /
 
Euer Mund bekommt keinen Wein mehr zu trinken.

6 Denn ein Volk zog heran gegen mein Land, /
 
gewaltig groß und nicht zu zählen; seine Zähne sind Zähne von Löwen, /
 
sein Gebiss ist das Gebiss einer Löwin. 2

7 Es hat meinen Weinstock verwüstet, /
 
meinen Feigenbaum völlig verstümmelt. Abgeschält ließ es ihn liegen, /
 
die Zweige starren bleich in die Luft. 3

8 Klagt wie eine Jungfrau im Trauergewand, /
 
die den Bräutigam ihrer Jugend beweint.

9 Aus ist es mit dem Speiseopfer, /
 
mit dem Trankopfer im Haus des Herrn. /
 
Es trauern die Priester, die Diener des Herrn.

10 Kahl liegt das Feld, der Acker trauert; /
 
denn das Korn ist vernichtet, vertrocknet der Wein, /
 
das Öl ist versiegt.

11 Die Bauern sind ganz geschlagen, /
 
es jammern die Winzer; denn Weizen und Gerste, /
 
die Ernte des Feldes ist verloren.

12 Der Weinstock ist dürr, der Feigenbaum welk. /
 
Granatbaum, Dattelpalme und Apfelbaum, alle Bäume auf dem Feld sind verdorrt; /
 
ja, verdorrt ist die Freude der Menschen. 4

13 Legt Trauer an und klagt, ihr Priester! /
 
Jammert, ihr Diener des Altars! Kommt, verbringt die Nacht im Trauergewand, /
 
ihr Diener meines Gottes! Denn Speiseopfer und Trankopfer /
 
bleiben dem Haus eures Gottes versagt.

14 Ordnet ein heiliges Fasten an, /
 
ruft einen Gottesdienst aus! Versammelt die Ältesten /
 
und alle Bewohner des Landes beim Haus des Herrn, eures Gottes, /
 
und schreit zum Herrn: 5

15 Weh, was für ein Tag! /
 
Denn der Tag des Herrn ist nahe; /
 
er kommt mit der Allgewalt des Allmächtigen. 6

16 Vor unseren Augen wurde uns die Nahrung entrissen, /
 
aus dem Haus unseres Gottes sind Freude und Jubel verschwunden.

17 Die Saat liegt vertrocknet unter den Schollen; /
 
die Scheunen sind verödet, die Speicher zerfallen; /
 
denn das Korn ist verdorrt.

18 Wie brüllt das Vieh! /
 
Die Rinderherden irren umher, denn sie finden kein Futter; /
 
selbst die Schafherden leiden Not.

19 Zu dir rufe ich, Herr; /
 
denn Feuer hat das Gras der Steppe gefressen, /
 
die Flammen haben alle Bäume der Felder verbrannt.

20 Auch die wilden Tiere schreien lechzend zu dir; /
 
denn die Bäche sind vertrocknet /
 
und Feuer hat das Gras der Steppe gefressen.

1 ℘ Dtn 28,38; Am 4,9; 7,1f; Ps 105,34f
2 ℘ Offb 9,8
3 ℘ Jes 5,1
4 ℘ Jes 16,10; Jer 25,10; Am 4,7-9
5 ℘ 2,15f
6 ℘ Jes 13,6; Ez 30,2f